MINERALITÄT, SALZIGKEIT oder alles nur Chemie?

Schiefer, Wachau, Austria, Foto. Matthias F. Mangold

Weinrallye #66 Rätsel im Wein - Wein im Rätsel: Mineralität, Salzigkeit oder alles nur Chemie?

Kann man Steine trinken? Mineralien im Wein? Salz? Ein Weinfehler oder eine Aromentäuschung? Ist ein Wein, der auf steinigen Böden wächst, wirklich mineralischer bzw. salziger, als ein Wein der flach im Mutterboden wurzelt? Hängt dieser Geschmackseindruck wirklich mit dem Untergrund zusammen oder einfach nur mit den fehlenden blumigen oder fruchtigen Noten in einem Wein? Ist es mal wieder Weinlatein oder Winzerblabla?

Rätselhafter Wein. Fragen über Fragen. Auch in Diskussionsrunden wie dem Weinforum werden sie gestellt. Wo blieben die analytischen Nachweise der Salze oder Mineralien im Wein? Mikrokonzenrationen? 

Doch auch wenn sich die Wissenschaftler am analytischen Nachweis der Salze oder Mineralien in der Weinbeere immer noch die Zähne ausbeissen, die Verkoster schmecken sie. 

Leider oft auf Englisch und etwas flapsig geschrieben, aber frau braucht sich ja nur die Verkostungsnotizen zu Rieslingen oder Großen Gewächsen durchlesen, überall die Worte: Mineralik, salzig oder kräuterwürzig. Der Zusammenhang zum Boden wird hergestellt: unterschiedliche Böden - unterschiedliche Mineralien, die in die Rebe gelangen und für differenzierte Aromen im Wein sorgen. So die gängige "Lehr"meinung.

Doch hat die Geschmacksrichtung "salzig" etwas mit erhöhten Salzgehalten in der Beere zu tun? Handelt es sich wirklich um Mineralsalze, die in die Beere gelangt sind oder nur um ein Gefühl, einen sensorischen Eindruck, eine Assoziation? Oder gar um stinkende schweflige Verbindungen (Mercaptane), die zwar nur in winzigen Mengen im Wein vorkommen, aber den Eindruck der Mineralität vermitteln?


Riesling, Juval 2007
Weingut Unterortl Familie Aurich und Reinhold Messner
- ein echter Steillagenriesling -

......denke ich an diesen Wein, dann muss ich Alexander Kohnen zustimmen, der in der Zeitschrift VINUM mal schrieb: "Ja, es gibt in einem Wein die Geschmacksrichtung salzig."
Oder wie Stephan Reinhardt im Feinschmecker Südtirol schrieb: "Salziger der Riesling nie war."

Salzigkeit kann man schmecken, ja! Eindeutig bei Weinen, die in der Nähe des Meeres wachsen, wie in La Clape in Südfrankreich am Mittelmeer oder bei diesem von Marco Giovanni Zanetti beschriebenen Wein, einem Syrah vom Cape Agulhas: "der schmeckt fast jodig dank der Gischt, die die Weinberge berieselt mit Meerwasser. Gewöhnungsbedürftig weil: echt salzig!"
Aber wie sieht es bei den anderen Weinen aus, die in Gebirgsregionen wie in der Schweiz oder wie der Riesling Juval in Südtirol wachsen und ebenfalls salzig schmecken. Woher kommt bei diesen die Salzigkeit?



Wie Pflanzen Minerale aufnehmen Der Boden..

Als Biologin bin ich einigermaßen mit der Pflanzenphysiologie vertraut, die zwar auch von den Wissenschaftlern immer noch nicht ganz verstanden ist, aber jeder Winzer, jeder Gärtner weiß: Pflanzen reagieren auf den Nährstoffgehalt im Boden. Sie zeigen es direkt in ihrem Laub an. Eisenmangel führt zu Chlorose (gelbe Blätter), beispielsweise auf kalkhaltigen (alkalischen) Böden. Hier muss mit Düngung nachgeholfen werden. Die Pflanze braucht Makronährstoffe: Sauerstoff, Stickstoff, Phosphor, Calcium, Magnesium, Kalium und Schwefel in großen Mengen. Das Zubrot sind die Mikronährstoffe wie Eisen, Zink, Mangan, Kupfer, Bor, Molybdän und Chlor. Diese liegen im Boden gebunden vor oder wurden von Mikroorganismen bei der Zersetzung organischer Stoffe gebildet. Die lebenden Organismen im Erdreich sind von Boden zu Boden nicht gleich, sondern stets verschieden, nicht nur bedingt durch die Geologie des Bodens, sondern auch bedingt durch die Einflüsse des Klimas oder Mikroklimas, Hangausrichtung, Gestalt der Landschaft, vorherrschende Windströmungen und so weiter, dem "Terroir". Die Bodenart hat nicht nur Einfluß auf die Mikroorganismen, sondern auch auf die Zusammensetzung der Mineralstoffe, wie beispielsweise die Calcium- und Magnesiumcarbonate. Es gibt kalkreichere, alkalische Böden und saurere Böden. Kalkreichere Böden sind aus Muschelkalk oder Dolomit verwittert, saurere Böden aus Buntsandstein, Granit oder Gneis. Calcium- und Magnesiumcarbonate kommen bevorzugt in kalkhaltigen Böden vor. Silikate in siliciumreichen Gesteinen, wie Glimmer, Granit und Gneis. Im Boden vorhanden sind außerdem Salze wie Phosphate, Sulfate oder Chloride. Das bekannteste Chlorid ist das Natriumchlorid, das jeder unter dem Namen Kochsalz kennt (NaCl) - womit wir wieder bei den Salzen sind. Die Verwitterung setzt die Minerale sozusagen in genießbare Form um, doch müssen sie im Boden als wässrige Lösung vorliegen, um aufgenommen werden zu können. "Pflanzen essen nicht etwa Steine, sondern nippen an diesen herausgelösten Mineralwässern", so der hochgeschätzte Geologe James E. Wilson in seinem Buch Terroir (1999 Hallwag Verlag, heute GU Verlag).




Grafik aus der Zeitschrift: Gärtner und Florist


Die Wurzel..

Über die Wurzel gelangen die Nährstoffe und Mineralien in die Pflanze, soweit so gut. Da in die Wurzelzellen jedoch nur das kleine Wassermolekül frei eindiffundieren kann- wie kommen dann die größeren Mineralsalze in die Wurzel?

Sie brauchen Transportmechanismen oder wie James E. Wilson schreibt: "Sie brauchen Pass, Visum und eine Eskorte. [...] Tonpartikel und Humus tauschen, borgen oder speichern Ionen aus der Bodenlösung und bringen sie durch den Zoll in die Pflanze." Hier müssen wir jetzt auf die Atomebene gehen... Ionen sind Teilchen, die eine negative oder positive Ladung aufweisen. Positiv und Negativ ziehen sich an, das weiß jedes Kind. Und weiter mit Wilson: "Erscheint ein positiv geladenes Nährstoff-Ion an der Zellwand, so wird es von der (Wurzel-)Membran angezogen (da diese negativ geladen ist). Ein Begleitmolekül entgegengesetzter Ladung (im Innern des Wurzelgewebes) vereinigt sich mit dem Einlaß heischenden Ion". Im Innern wird es wieder freigelassen und kann aus der Wurzel über die Leitungsbahnen in das Pflanzengewebe gelangen. Dazu braucht die Pflanze Energie, und diese bekommt sie über die Photosynthese.

Die Mineralstoffe werden aktiv in die Wurzel aufgenommen. Das wichtigste Wort hier ist aktiv. "Durch diese Mechanismen erreicht die Pflanze ein Anreicherungsvermögen gegenüber der Bodenlösung und ein Wahlvermögen, d. h. sie kann bestimmte, in geringer Konzentration vorliegende Ionen gegenüber anderen, häufigeren Ionen, bevorzugen." (Quelle: wikipedia).

Alles klar? Also ich verstehe das so, die Wurzel saugt aktiv die Mineralstoffe ihrer Wahl aus der Erde, um diese Stoffe dann als Nährstoffe sich selbst zu zuführen. Das würde auch bedeuten, dass die Pflanze durch dieses Wahlvermögen unterschiedliche Mineralien in unterschiedlicher Konzentration aufnehmen kann - und so auch in ihre Zellen, nicht nur in die des Laubs, sondern auch in ihre Früchte, den Weinbeeren einlagern kann.

Doch kann man diese Mikropartikel, die Mineralien, die Salze auch schmecken? Sie müssen ja in ganz geringer Konzentration vorliegen. Zu viel Salz, die Zellen würden platzen, da die Konzentration über Wasseraufnahme ausgeglichen wird, ein osmotischer Vorgang.


Schiefer, Winninger Röttgen, Foto: Matthias F. Mangold

Wie schmeckt Mineralität?
Riechen und schmecken Steine???

"Mineralität wird als Ausdruck von Terroir, von Herkunft aufgefasst. Man stellt sich vor, die Mineralität muss ja direkt aus der Erde, aus steinigen Böden kommen"

Im Weinforum lese ich: "Auch wenn es wahrscheinlich schon dutzende Male an anderer Stelle geschrieben wurde: Mineralität hat nichts mit Mineralien im Wein zu tun. Der Eindruck eines mineralischen Geschmacks beruht auf spezifischen Terpenen und Phenolen. Die meisten "Mineralien" schmecken übrigens nach gar nichts oder aber bitter-metallisch, aber ohne jedes Nasenaroma - einfach mal probieren" und an anderer Stelle wurden die Mercaptane (organische Schwefelverbindungen) erwähnt, "die in unvorstellbar geringer Konzentration riechbar sind (wenige Milliardstel Gramm pro Liter Wein)", diese "sind mit den Böckser-Aromen verwandt und letztere stammen bekanntlicherweise von der Hefe bzw. ungünstiger Gärführung. Aber es kann gut sein, dass da auch ein Zusammenhang mit dem Boden vorliegt (wenn z.B. die Hefezellen bei einem Überschuss oder Mangel bestimmter Mineralstoffe eher zur Produktion solcher Aromen tendieren)."
Für alle Mineralität- und Bodenfans wie mich beruhigend ist immerhin diese Aussage: "Ob die Zusammenhänge im Einzelnen geklärt sind, weiß ich nicht; vermutlich müsste man da tief in die Fachliteratur einsteigen. Dass aber ein Zusammenhang zwischen der Art des Bodens und der Aromatik des Weines besteht - ob diese nun "mineralisch" ist oder nicht - ist wohl unbestrittten." Ergänzend noch dieser Satz: "Die Mineralität, von der so oft geredet wird, schmeckt man auch eigentlich nicht: sprich die Mineralien oder Steine selbst kann man nicht schmecken bzw. würden diese nicht wohlschmeckend sein, wenn sie in Konzentrationen auftreten würden, in denen Menschen sie wahrnehmen können. Untersuchungen deuten eher darauf hin, dass organische Verbindungen auf Gesteinen entstehen oder als Vorstufe in den Beeren vorhanden sind und mit der Vergärung gebildet werden und uns somit an Mineralität erinnern. Das ganze Thema ist sehr komplex und noch nicht vollständig untersucht. Es ist auf jeden Fall interessant und für einige Überraschungen gut."

Puh, also... doch nur alles Chemie?


Linalool ein Weinaroma und Bestandteil ätherischer Öle

Oder sind wir wieder bei der Einbildung oder höflicher formuliert - den Assoziationen? Wir schmecken chemische Verbindungen: Terpene, netter ausgedrückt - Aromen. Die Natur hat eine unendliche Vielfalt von diesen Aromen auf Lager, doch nur wenige werden immer wieder verwendet. Erfolgreiche Düfte wie das hier abgebildete Linalool, kommen sowohl im Wein als auch im Koriander, Hopfen, Muskat, Ingwer, Bohnenkraut, Zimt, Basilikum, Majoran, Thymian, Oregano, schwarzen Pfeffer und....Safran vor. Beim Verkoster geht dieses Aroma von der Nase ins Gehirn. In seiner Aromabibliothek wird es dann auf dem Platz "Kräuter" abgelegt. Geübte Verkoster können sogar noch differenzieren zwischen Thymian oder doch eher Muskat. Und der Weinverkäufer verkauft diesen Wein dem Kunden mit dem Satz "in diesem Wein sind die Aromen der mediterranen Kräuter in der Außenhaut der Beeren abgespeichert". Womit dieser sofort Assoziationen bekommt, positive Gefühle. Er riecht die Macchia, die Kräuter schon in Gedanken. Und später wohl auch im Wein. Denn da müssen sie ja sein, die Kräuter.

Ein schwefelhaltiges Mercaptan bilde ich jetzt lieber nicht ab. Nur ein Tipp, enthalten in: Milch, Käse, Knoblauch - und Stinktier. Der Verkoster schmeckt: Glimmer, Gneis oder Muschelkalk? Oh nein, please....findet die Mineralien im Wein, bitte, bitte liebe Chemiker!!

Joachim Kaiser (VINOSITAS), wie ich Biologe und damit auch mit der Biochemie vertraut, schreibt in einer Antwort auf ein einen Artikel von Martin Koessler (KU Weinhalle) in facebook:
"Im Übrigen findet man die Mineralien, die der Boden enthält, auf dem er wächst durchaus im Wein. Ein modernes ICP-MS (Anmerkung: Massenspektrometer) kann gleichzeitig 30 und mehr davon im Wein oder im Bodenwasser oder in einem wässrigen Bodenauszug analysieren und dann vergleichen. Das Ergebnis ist so typisch, dass es als Fingerprintverfahren zur Identifizierung der Herkunft verwendet werden kann."

Also, doch chemisch nachweisbar?!

Mein persönliches Fazit heute: Die Aromen entstehen im Wein, bei der Gärung, durch chemische Prozesse. Der Boden mit seiner unterschiedlichen Mineralienzusammensetzung hat einen Einfluß definitiv, das weiß jeder (Depp), der einen Pinot Noir vom Muschelkalk gegen einen Pinot Noir vom Buntsandstein probiert. Genauso beim Riesling, der den Boden, "die Mineralik" noch stärker herausarbeitet, wie es oft zu lesen ist. Doch ebenso wichtig ist, was der Winzer daraus macht, die Weinbereitung. Also laienhaft formuliert, ob der Wein früh geerntet wird oder spät, ob er kalt vergoren wird, welche Hefen zugesetzt werden oder ob er spontan vergoren wurde, wie lange er auf der Maische bleibt und so weiter.

Ist es wirklich so wichtig, ob die Mineralik oder der erdige mineralische Eindruck, den man bei einem Wein hat, von den Mineralien, den Salzen kommt oder von einem chemischen Stoff? Wir beschreiben einen Wein ja auch als kräutrig, oder blumig, ohne dass Blumen oder Kräuter im Wein sind. "Its in the sauce". Es sind die Geschmackstoffe, Düfte, Aromen, unterschiedlich ausgeprägt, je nach der chemischen Zusammensetzung im Wein, je nach Untergrund und je nachdem wie der Wein gemacht wurde.

Bleibt noch ein kleiner Rest Winzerlatein oder besser Fantasie. Geschichten, Assoziationen, Bilder, gute Gefühle und Erinnerungen, die mit dem Wein verbunden sind. Die Leichtigkeit oder Beschwingtheit, die dieser Wein ausgelöst hat. Wie Sebastian Bordthäuser in der aktuellen Ausgabe der VINUM 09/2013 schreibt: Die "individuelle emotionale Belegung der Duftreize führt folglich zu Unschärfen bei der Bewertung von Düften. Sie ist stets subjektiv und kann hinderlich sein bei unserem Ziel, die Qualitäten eines Weins in einer einheitlichen Sprache zu bewerten."

Rätsel im Wein - Wein im Rätsel. Die menschliche Wahrnehmung ist individuell. Geschmäcker sind verschieden. Es ist eine Kunst, einen guten Wein zu bereiten. Winzer sind Künstler, die mit dem arbeiten, was ihnen die Natur an Material vorgibt. Und wir verkosten diese Kunst. Wie bei der Betrachtung von Bildern, nehmen wir sie unterschiedlich wahr und bewerten sie subjektiv.


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Kommentare

  1. Kann man Steine trinken? Die Frage gefällt mir, animiert mich, weiter zu denken, weiter zu fragen. Fragend geniesse ich Deine Antworten. Gottseidank lässt Du mir noch "ein kleiner Rest an Winzerlatein", denn es ist die Fantasie, die letztlich ein Weinerlebnis gross und nachhallig macht.

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  2. Danke für diese schöne Antwort. Genauso habe ich es auch gemacht, nachdem ich mich "wissenschaftlich" mit dem Thema auseinander gesetzt habe, habe ich mir den Geschmack am Wein fast selbst verdorben. Abschalten und an die Mosel fahren. Wir haben wunderbaren Wein verkostet und nun ist sie wieder da die Fantasie...

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